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Scheinselbstständigkeit! EU-Richtlinie gefährdet Network-Marketing

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Die EU-Kommission konnte sich im Februar auf einen gemeinsamen Standpunkt zu ihrer neuen Plattformarbeiter-Richtlinie einigen. Sie will damit Beschäftige auf Online-Plattformen häufiger als Arbeitnehmer statt als Freiberufler einstufen, um ihnen die Möglichkeit auf Rechte von Arbeitnehmern zu geben. Hier gibt es nun jedoch Grund zur Sorge. Denn die Richtlinie könnte auch Unternehmen treffen, die sie eigentlich nicht treffen soll – so vor allem im Bereich des Network-Marketings.

Die Absicht der Richtlinie

Hinter der Richtlinie steckt eine Absicht der EU-Kommission. Bei Menschen, die mit Online-Plattformen zusammenarbeiten, kann ihr Beschäftigungsstatus etwas unklar sein. So ist es mitunter schwer, sie zu kategorisieren, da sie irgendwo zwischen Freelancern und Arbeitnehmern einzuordnen wären.

Dies wird vor allem dann problematisch, wenn sie zwar nach außen hin wie Selbstständige wirken, eigentlich aber als Angestellte eingestuft werden sollten. Das wird dann als sog. Scheinselbstständigkeit bezeichnet. Und genau dieses Phänomen möchte die EU-Kommission bekämpfen.

Die Kommission stellt in ihrer Begründung zur Richtlinie fest, dass Scheinselbstständige häufig nicht die Mittel haben, welche sie als angestellte Arbeitnehmer hätten. Und da sie im Unterschied zu echten Selbstständigen eigentlich doch in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, sollten ihnen diese Rechte auch zustehen. Aufgezählt werden Mindestlohn, Arbeitszeitregelungen, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, gleiches Entgelt für Männer und Frauen und das Recht auf bezahlten Urlaub sowie ein verbesserter Zugang zum Sozialschutz bei Arbeitsunfällen, Arbeitslosigkeit, Krankheit und im Alter.

Ohne diesen Schutz sind Scheinselbstständige denselben Risiken ausgesetzt wie echte Selbstständige. Kommt es hart auf hart, können sie sich nicht zwangsläufig auf die Online-Plattform stützen, wenn es beispielsweise um Haftungsfragen geht.

Die Kommission hält ferner fest, dass einer Einschätzung zufolge bis zu 5,5 Millionen Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, dem Risiko einer falschen Einstufung des Beschäftigungsstatus ausgesetzt sein könnten.

Kommission nutzt Beweislastumkehr als Waffe

Das Herzstück der EU-Richtlinie ist simpel, jedoch sehr effektiv. Es soll eine rechtliche Vermutung zugunsten eines Angestelltenverhältnisses geben, sobald bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

Was zunächst nicht schwerwiegend klingt, wäre eine tiefgreifende Änderung für die Plattformbetreiber. In der gerichtlichen Praxis geht es häufig darum, die genauen Tatsachen und Umstände zu beweisen. Stehen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Gericht gegenüber, so hat in diesem Über-/Unterordnungsverhältnis der Arbeitnehmer häufig Schwierigkeiten. Darum hat eine Beweislastumkehr, welche die Kommission mit der Richtlinie anstrebt, hier große Auswirkungen.

Um bei dem Haftungs-Fallbeispiel zu bleiben: Nach der jetzigen Lage müsste der Arbeiter vor Gericht nachweisen, dass er eigentlich als Arbeitnehmer gelten müsste. Und das, obwohl es nach außen hin wirkt, als wäre er Freiberufler.

Die Beweislastumkehr soll genau das nun ändern. Sind die Bedingungen erfüllt, dann gilt der Arbeiter grundsätzlich als richtiger Arbeitnehmer. Der Plattformbetreiber müsste fortan beweisen, dass der Arbeiter tatsächlich selbstständig ist und durch die Plattform lediglich vermittelt wird. Allein diese Aussicht soll Betreiber dazu bringen, ihre Arbeitsbedingungen anzupassen.

Wer soll davon getroffen werden?

Eigentlich soll die Richtlinie für Beförderungs-, Essenslieferungs-, Haushaltsdienste- oder Clickwork-Plattformen gelten. Diese sind vor allem dafür bekannt, mit flexiblen Modellen Arbeiter „einzustellen“, welche dann bestimmte Aufträge ausführen. Die Plattform dient dann dazu, diese Arbeiter mit den Endkunden zusammenzubringen, beispielsweise mittels einer App.

Große betroffene Namen wären Uber oder Lieferando. Im Fall von Uber stehen dort die Arbeitsbedingungen immer wieder in Frage und das Unternehmen unter Kritik. Haftungsfragen und Ansprüche auf Mindestlohn waren in den vergangenen Jahren häufiger Thema.

Aus Sicht der Plattformbetreiber selbst sind sie bloß Vermittler und für all das grundsätzlich nicht zuständig. Hieran zeigt sich die Spaltung zwischen Betreibern und denjenigen, die sich für eine Einstufung als Arbeitnehmer einsetzen.

Richtlinie schießt über das Ziel hinaus

Die Richtlinie hält auch Definitionen bereit, um klarzumachen, wer betroffen ist und wer nicht. Das Problem mit juristischen Definitionen ist, dass sie meistens recht offen sind. Nur so lässt sich eine Vielzahl von Fällen erfassen, ohne sie abschließend aufzuzählen.

Hier gab es zwar schon mehrere Überarbeitungen, dennoch werden die aktuellen Definitionen kritisiert. Um ein paar Wichtige aufzuführen:

Laut Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie ist digitale Arbeitsplattform eine jede natürliche oder juristische Person, die eine kommerzielle Dienstleistung erbringt und folgende Voraussetzungen erfüllt: Bereitstellung auf zumindest teilweise elektronischem Wege (z.B. Website oder App), Leistungserbringung auf Verlangen des Empfängers und eine Notwendigkeit der Organisation von Arbeit durch Einzelpersonen, egal ob online oder vor Ort.

Plattformarbeit ist nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 dann „jede Arbeit, die über eine digitale Arbeitsplattform organisiert und […] auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses zwischen der digitalen Arbeitsplattform und der Person ausgeführt wird, unabhängig davon, ob ein Vertragsverhältnis zwischen der Person und dem Empfänger der Dienstleistung besteht.“

Und Plattformarbeiter nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 ist „jede Person, die Plattformarbeit verrichtet, unabhängig davon, wie die beteiligten Parteien das Verhältnis zwischen dieser Person und der digitalen Arbeitsplattform vertraglich qualifizieren.“

Es wird also deutlich, dass dies eine Vielzahl von Unternehmen erfassen kann, solange sie unter die Definitionen fallen. Hierbei soll explizit nicht auf die konkreten Verträge geschaut werden, sondern darauf, welche Art von Arbeit tatsächlich geleistet wird.

Gefahr für Network-Marketing

Das Risiko, von der Richtlinie erfasst zu werden, besteht also neben den oben genannten Unternehmen auch noch für weitere. Wichtig sind hier Networking-Plattformen, z.B. für Direktvertrieb oder Network-Marketing. Laut Gerüchten sehen dies in Polen auch das Arbeits- und das Finanzministerium so.

Hieran ist besonders gefährlich, dass in diesen Bereichen viele Menschen gern selbstständig sein wollen oder das Ganze als einen flexiblen Weg in die Selbstständigkeit nutzen wollen. Und es gibt auch viele Selbstständige oder Arbeitnehmer, die Online-Marketing als eine zusätzliche Einkommensquelle nutzen.

Diesen Freelancern, Networkern und Selbstständigen könnte es schaden, wenn sie nun als Arbeitnehmer gelten würden. Denn damit würden sie in Strukturen eingebunden werden, die sie in ihrer Flexibilität begrenzen würden. Nicht selten arbeiten sie auch als Freelancer für mehrere Plattformen, was zusätzlich zu Schwierigkeiten führen könnte. Somit gefährdet die Richtlinie den Direktvertrieb und Beschäftigte im Network-Marketing bzw. Multi-Level-Marketing (MLM).

Anpassung der Verträge und AGB

Der Kernpunkt ist also, wann jemand als Scheinselbstständiger gilt und wann nicht. Besonders beim Network-Marketing besteht das Risiko für ersteres, wenn die Vertriebspartner nicht in klar definierten Grenzen arbeiten.

Plattformbetreiber sollten also darauf achten, dass ihre Networker nicht als Scheinselbstständige eingestuft werden, sondern als echte Selbstständige bzw. Freiberufler.

Zwar wird in der Richtlinie festgestellt, dass es nicht auf die konkreten vertraglichen Gestaltungen ankommt. Jedoch sollten Plattformbetreiber trotzdem eine Anpassung der Verträge und der AGB vornehmen. Dies bewirkt, dass die Arbeiter im Online-Vertrieb Verhaltensweisen vermeiden, die zu einer Einstufung als scheinselbstständig führen können. Dazu gehört, dass sie nicht weisungsabhängig sein sollten und ein gewisses unternehmerisches Risiko tragen sollten.

Das Gleiche gilt in die andere Richtung: Ist eine Anstellung als Arbeitnehmer gewünscht, sollte das auch klar aus den jeweiligen Verträgen hervorgehen.

Die letzten Schritte bis zum Gesetz

Bis eine Richtlinie geltendes Recht wird, sind noch einige Schritte zu absolvieren. Erst steht noch ein Trilog-Verfahren an zwischen Kommission, Mitgliedstaaten und Parlament. Hierbei werden häufig noch Änderungen vorgenommen. Dann muss die Richtlinie aber in nationales Recht umgesetzt werden. Die polnischen Ministerien suchen laut Gerüchten bereits nach Wegen, den Direktvertrieb aus dem Anwendungsbereich auszunehmen.

Generell wird vor allem von Plattformbetreiber enorm Druck gegen die Richtlinie ausgeübt. BusinessEurope, die wichtigste europäische Lobbyorganisation, äußerte, dass ein selbstregulierender Ansatz der Plattformen der bessere Ansatz wäre. Betreiber fordern außerdem, dass die Kommission lieber bestehende Richtlinien umsetzen sollte, statt neue zu erlassen. Wenn sie neuen Handlungsbedarf sieht, dann sollte sie bloß erst einmal Empfehlungen aussprechen. Die Form einer Richtlinie, welche ja in verbindliches nationales Recht umgesetzt werden muss, sei nicht angemessen. Auch sei die Abgrenzung der Scheinselbstständigkeit zu unklar.

Es wird aber auch auf der anderen Seite Druck ausgeübt. Der europäische Arm der internationalen Dienstleistungsgewerkschaft äußerte: „UNI Europa lehnt die Option einer Empfehlung mit freiwilligen Instrumenten wie Verhaltenskodizes, Chartas oder Kennzeichnungen ab, die auf keine Weise geeignet sind, auf lange Sicht die Arbeitsbedingungen von Plattformarbeiter*innen zu verbessern.“ Sie fordern stattdessen, dass die Kommission die Form einer Richtlinie beibehält und diese möglichst effizient ausgestaltet.

National konnte sich die Bundesregierung noch nicht geschlossen zu dem Vorhaben äußern. Vor allem die FDP soll sich dagegengestellt haben, woran man erkennt, dass der gesamte Prozess umstritten ist.

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