Ponzi-System-Schneeballsystem-Adele-Spitzeder

Das 400-Millionen-Euro-Ponzi-System der Adele Spitzeder

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Tatsächlich müsste die Form des Anlagebetruges, die als Ponzi-System bezeichnet wird, Spitzeder-System oder ähnlich heißen. Gut sechs Jahrzehnte vor dem Namenspaten Carlo Ponzi zog sie ab Ende der 1860er-Jahre ihr Konzept bis hin zur Gründung einer Bank auf. Mangels Kreditwesengesetzes oder Finanzaufsicht konnte sie recht lange unbehelligt agieren.

Während Ponzi 1920 in wenigen Monaten rund 40.000 Anleger um gut 15 Millionen US-Dollar prellte, bediente Spitzeder den Traum von der schnellen, hohen Rendite rund zwei Jahre lang, in denen sie etwa 32.000 Kunden um insgesamt 38 Millionen Gulden brachte. Auf die heutige Zeit hochgerechnet, verursachte die Schauspielerin rund 400 Millionen Euro Schaden.

Adele Spitzeder bevorzugte das Leben in Hotels oder Gasthäusern und leistete sich eine Privatangestellte. Ihr Vorgehen und das Ausmaß ihres Betruges sind vor dem gesellschaftlichen Hintergrund aufgrund der damaligen rechtlichen Stellung der Frau nebst vorherrschenden Moralvorstellungen umso bemerkenswerter.

Mittellos wegen ihres Lebensstils, bot sie der Frau eines Zimmermanns zehn Prozent Zinsen monatlich für 100 Gulden und zahlte ihr die Zinsen für die ersten beiden Monate sofort aus. Mund zu Mund Propaganda sorgte sehr schnell für weitere „Anleger“. Schließlich gründete sie 1869 zusammen mit ihrer Lebenspartnerin Emilie Stier in München eine Bank.

Trotzdem gab es die Zinsen auch weiterhin bar, was die „Spitzedersche Privatbank“ als Geheimtipp zum Großunternehmen wachsen ließ. 1871 zog die Schauspielerin in ein für 54.000 Gulden gekauftes Haus in einer der ersten Lagen Münchens. Dort stapelte sich das Geld ihrer Anleger säckeweise und die Buchführung war auf ein Quittungsbuch beschränkt. Bestochene Redakteure sorgten für ein positives Presse-Echo.

Zeitweise gab Spitzeder sogar eine eigene Zeitung heraus. Großzügige Spenden sowie resolutes frommes Auftreten sorgten für Vertrauen und ihren Ruf als Wohltäterin. Ihr Haushalt nebst angeschlossener Bank hatte bis zu 83 Angestellte, darunter auch Kreditvermittler, die sieben Prozent Provision auf die Anlagesummen verdienten. Bauern verkauften ihre Höfe, weil sie von den Spitzederschen Zinsen leben wollten. Täglich brachten Menschen mehr als 100.000 Gulden vorbei, für die über 1.000 Quittungen ausgestellt werden mussten.

Sie nahm anderen Banken das Geschäft weg, die sich das nicht mehr länger mit ansehen wollten. Als Adele Spitzeders Gegner rund 60 Gläubiger organisiert hatten, die gleichzeitig an ihr Geld wollten, brach alles zusammen. Am 12. November 1872 wurde sie wegen Betrugs verhaftet. Die vorhandenen Vermögenswerte deckten nur 15 Prozent der Forderungen. Gläubiger begingen Suizid, einige Gemeinden waren ruiniert und parallel dazu stürzten Bankensystem und Wirtschaft in die Gründerkrise, als deren Teil der Spitzeder-Bankrott gilt.

Nach zehn Monaten Untersuchungshaft wurde sie zu nur drei Jahren Zuchthaus, in denen sie ihre Memoiren schrieb, verurteilt. Strafmildernd wirkten fehlende behördliche Auflagen. Zudem hatte sie nie mit Sicherheiten geworben. 1880 wagte Spitzeder ein Comeback als Bankerin, wurde aber sofort verhaftet. Bis zu ihrem Tod am 27. Oktober 1895 im Alter von 63 Jahren führte sie dank der Unterstützung durch Gönner ein nahezu sorgenfreies Leben. (FW)

»» Originalbericht in Ausgabe 05-2021 lesen

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